Stetter, M: Die Predigt als Praxis der Veränderung

Dieses Buch stellt eine ausgezeichnete Tübinger praktisch-theologische Dissertation des WS 2015/16 dar; entsprechend lange ist die Literaturliste (siehe S. 381-422) und entsprechend zahlreich ist die Zahl der Anmerkungen, nämlich stolze 1174. Der erste Satz der „Einführung“ lautet: „Predigen verändert Welt.“ (S. 15) Dazu sagt man „ja“ und denkt an eine bestimmte Predigt (mir fiel unwillkürlich M.L. Kings Satz I have a dream... ein). Oder man sagt im Gedenken an soooooooooooo viele langweilige, nichtssagende Predigten „nein“. Jedenfalls gibt dieser Satz eine reformatorische Grundüberzeugung wieder. Nicht in seiner Dissertation, jedoch in einer Anzeige der Universität Tübingen steht Martin Luthers folgender Satz: „das groessist und furnempfst stuck“ des Gottesdienstes ist die Predigt (vgl. WA 19, 78). Stetters Arbeit reflektiert und inspiriert die neueren und neuesten Predigttheorien; nur punktuell blickt sie in die Vergangenheit. Ein Indiz dessen ist, dass der 1991 verstorbene Henning Luther weit über zehnmal zitiert wird, Martin Luther jedoch nie.

Als Motto auf S. 5 liest man aus Merciers „Klavierstimmer“: „Läßt sich, was einmal in Worte gefaßt hat, weiterleben wie bisher? Oder ist die stille Beschäftigung mit Worten die wirkungsvollste Art, das Leben zu verändern – wirkungsvoller als die lauteste Explosion?“ Im Karl Marx-Gedenkjahr 2018 sollte man dessen elfte These zu Feuerbach dagegen halten: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.“ Und zu Beginn von Goethes „Faust“ sagt Mephisto:
„Geschrieben steht: "Im Anfang war das Wort!"
Hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort? . . .
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh' ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!“

Doch das Verhältnis von Wort und Tat ist nicht die Fragestellung Stetters. Konsequent geht es ihm um die transformative Dimension moderner Predigten.

Am Ende seiner ausführlichen, sich über vier große Teile (B-E; A = „Einführung“) erstreckenden Untersuchungen, steht als Teil F das „Resümee“ (S. 361-380). Am Ende des Resümees begreift Stetter S. 379f die Predigt mehrfach als Praxis der Aneignung; in meinen eigenen Worten formuliert so: Die eine Predigt verfassende Person setzt sich auch mit ihr fremden Gedanken(-gängen) auseinander und eignet sie sich an. Der / die Predigende will damit bei den Predigthörenden etwas bewirken. Idealerweise vertiefen und variieren alle sozialen Akteure sich in ihren Selbstdeutungen und Selbstentwürfen.

Drei Punkte möchte ich vor der Schlusseinschätzung benennen:
- Der Begriff der Persuasion (vergleiche S. 215-306) hat seinen primären Platz in der Rhetorik; interessanterweise jedoch auch in der Bibel (siehe Apg 26,28).
- Während erschöpfende Namens- und Sachregister eingearbeitet sind, vermisst man ein Bibelstellenregister.
- Leider ist der Preis ein sehr deftiger.

Stetters Arbeit ist nicht schnell zu lesen und nicht leicht zu verstehen, jedoch im wahrsten Sinn des Wortes luzide. Sie ist für die Homiletik Lehrenden ein Muss, für die Student*innen höherer Semester sehr lehrreich und für alle Predigenden, die über ihre Grundaufgabe nachdenken möchten, sehr zu empfehlen. (gm)


Manuel Stetter
Die Predigt als Praxis der Veränderung
Ein Beitrag zur Grundlegung der Homiletik

1. Auflage 2018
442 Seiten mit 5 Grafiken Paperback
ISBN 978-3-525-62443-2
Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie. - Band 092
80,00 €

V&R



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