DBV: Die neue deutsche Sicherheitspolitik

OFFENER BRIEF
Die neue deutsche Sicherheitspolitik
Ihre Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014



Sehr geehrter Herr Bundespräsident Gauck,
sehr geehrte Frau Ministerin Dr. von der Leyen,
sehr geehrter Herr Minister Dr. Steinmeier,

Wir haben zur Kenntnis genommen, dass Sie zwar weltweite militärische Einsätze der Bundeswehr nur als ultima ratio der gewachsenen deutschen „Verantwortung“ präsentieren, sehen aber sehr deutlich, dass letztlich diese „Verantwortung“ zur Rechtfertigung militärischer Maßnahmen beschworen wird.

Mehr Verantwortung übernehmen, hieße für uns aber auch, einen kritischen Blick zu werfen auf die aktuelle Politik. Wir teilen die Meinung vieler zivilgesellschaftlicher Gruppen, dass Europa und auch die Bundesrepublik sich faktisch in ein hegemoniales Programm der USA politisch und militärisch haben einbinden lassen. Selbst beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA auf den Irak sind wir nur scheinbar neutral geblieben. Die militärischen Interventionen im Rahmen dieses Projektes haben außer Zerstörung menschlichen Lebens und politischer Instabilität nichts hinterlassen.

Der amerikanische „Krieg gegen den Terrorismus“, der zu diesem hegemonialen Vorhaben gehört, führt zur Destabilisierung ganzer Regionen im Nahen und Mittleren Osten. Für jeden getöteten „Terroristen“ stehen drei andere auf, die ihn rächen wollen. In Afrika ist zu besichtigen, wie jeder „Sieg“ neue Kriegsschauplätze erzeugt.

Mit großer Besorgnis sehen wir auch, dass sich in den letzten Jahren die traditionellen Begründungen militärischer Einsätze zurückgemeldet haben: die Sicherung von Transportrouten und der Zugriff auf strategische Ressourcen. Horst Köhler, ehemaliger Bundespräsident, sei als prominenter Zeuge genannt.

Umso mehr müssen wir die humanitären Begründungen für die einzelnen Militäreinsätze und das ganze Konzept Ihrer Sicherheitspolitik hinterfragen. Die Ressourcen der Menschheit reichen nicht für Schwerter und Pflugscharen. Die Mahnung des amerikanischen Präsidenten Dwight. D. Eisenhower hat mehr denn je ihre Berechtigung: „Jedes Gewehr, das produziert wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel läuft, jede Rakete, die abgefeuert wird, bedeutet letztlich einen Diebstahl an denen, die Hunger leiden und nicht mit Nahrung versorgt werden.“

Eine Fortsetzung einer sich auf militärische Gewalt stützenden Weltordnungspolitik beraubt uns der Mittel, die benötigt werden, um präventiv die Gründe der Gewalt zu eliminieren, nämlich Hunger und Unterentwicklung. Sie beraubt die Menschheit der Mittel, die gebraucht werden, um unter dem Dach einer reformierten UNO ernsthaft daran zu gehen, Institutionen zur Früherkennung von Konflikten und ihrer deeskalierenden nicht-militärischen Bearbeitung zu schaffen. Zu diesen Institutionen gehörte wohl auch eine echte, dem UN-Generalsekretär unterstellte internationale Polizeitruppe, die sich aus Kontingenten aller UN-Mitgliedsstaaten zusammensetzt, zur Konfliktdeeskalation besonders befähigt ist und zur Verhinderung schlimmster Menschenrechtsverletzungen anstelle von Militär eingesetzt werden kann.

Wir meinen, dass immer noch Gustav Heinemanns Aussage gültig ist: „Der Frieden ist der Ernstfall.“ Dem entspräche heute die Abkehr von der konfrontativen Politik geopolitischer Blöcke und die Realisierung einer Politik, die auf globale Sicherheitspartnerschaften setzt. Andernfalls dürfte es zu einem Kampf um die schrumpfenden Ressourcen kommen, einem fortgesetzten Rüstungswettlauf und neuem Kalten Krieg mit absehbaren Folgen. NATO und EU sind kein Ersatz für eine globale sicherheitspartnerschaftliche Struktur. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Verteidigungsbündnisse schaffen per definitionem keine Sicherheit für ihre Nicht-Mitglieder. Auch eine EU, die sich – Beispiel Ukraine – einfach auf einer Seite der großen geopolitischen Konfliktlinie einordnet, ist parteiisch, als Vermittler ungeeignet, und ihre Politik wird eher wie ein Brandbeschleuniger in Konflikten wirken.

Wir wissen, dass Sie ein schweres Amt tragen, und die Wende zu einer nachhaltigen Friedenspolitik nur schwer zu vollziehen ist. Schließlich muten wir Ihnen zu, sich in den Gegensatz zu setzen zu den mächtigen politischen und ökonomischen Interessen, die die gegenwärtige fatale Politik forcieren. Wir beobachten schon lange den beständigen Druck von Verbündeten und Industrie, die deutschen Ausgaben für Rüstung und Militär hochzufahren. Bedenken Sie aber, dass auch die gelungene deutsche Außenpolitik, die einen entsche idenden Beitrag zur Beendigung des Kalten Krieges geleistet hat und die Menschheit vom Abgrund eines atomaren Selbstmords zurückholte, am Anfang nur gegen erhebliche Widerstände im Inneren und Äußeren durchzusetzen war.

Wir meinen:

1. Deutsche Außen-und Sicherheitspolitik hat sich an den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen insbesondere Artikel 2, Absatz 4, zur Unterlassung einer „Androhung oder Anwendung von Gewalt“ und dem Friedensgebot des Grundgesetzes zu orientieren, die beide die Lehren aus zwei katastrophalen Weltkriegen verinnerlichen. „Außenpolitik ist in erster Linie zivile Krisenprävention, Ursachen-bekämpfung und Konfliktbewältigung unter Einschluss der Entwicklungszusammenarbeit“.

2. Der 13 Jahre währende Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan hat keine überzeugenden Kriterien für die Bestimmung von deutschen Interessen bei zukünftigen Einsätzen der Bundeswehr und der NATO, auch nicht für militärische Einsätze in prekären Staaten geliefert. Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz sind bisher öffentlich nicht gezogen worden. Eine verantwortliche deutsche Außenpolitik sollte aber ihre Interessen, Mittel und Ziele definieren.

3. Die bisherigen Einsätze der Bundeswehr zur Unterstützung der französischen Truppen und der der Afrikanischen Union in Afrika (Mali, Zentralafrikanische Republik sowie möglicherweise in Somalia) legen nahe, Deutschland betreibe eine Strategie der militärischen „Ertüchtigung“ mit der Begründung „Hilfe zur Selbsthilfe“, wie sie schon im Falle von Rüstungsexporten an „Gestaltungsmächte“ (Indonesien, Saudi-Arabien) ausgeführt wurde. Eine notwendige, vorrangig zivile, auch entwicklungspolitisch abgestimmte Gesamtstrategie ist nicht erkennbar.

4. Deutschland ist Mitglied der multilateral agierenden Europäischen Union. Deren Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) ist nur unzureichend im Sinne einer Friedenslogik konzipiert. Es gibt keine tragfähigen gemeinsamen Interessen und Vorstellungen einer Zivilmacht Europa. Es man gelt am Aufbau von zivilen Kapazitäten sowie an Abrüstung in Europa einschließlich der Einstellung bzw. Verminderung von Rüstungsproduktion und Rüstungsexporten.

5. Die in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (2011) aufgeführten „Risiken und Bedrohungen“ bieten wegen ihrer Breite und im Einzelnen wegen der engen Definition von Interessen, z. B. zur Sicherung von Transportwegen und der Rohstoff- und Warenströmen, keine Aussicht auf Erfolg für den Einsatz von militärischen Kräften.

Die im Koalitionsvertrag festgelegte Überprüfung der Sicherung der Parlamentsrechte (Parlamentsarmee) und zur Beschaffung von Kampfdrohnen schließt eine Schwächung der zivilen Linie nicht aus. Ein fortdauernder friedenspolitischer Skandal sind die deutschen Rüstungsexporte.

Mit freundlichen Grüßen
Dietrich-Bonhoeffer-Verein

Karl Martin
Vorstandsvorsitzender

Barbara Wirsen-Steetskamp
Stellvertretende Vorsitzende

Detlef Bald
Stellvertretender Vorsitzender

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