Gottesdienste sind soziologisch gesehen ein Gruppenphänomen. Die Buße dagegen ist, bei der Ohrenbeichte offensichtlich, ein sehr individuelles Geschehen. Welchen Platz, welche Bedeutung und welche Gestalt kann, vielleicht auch muss, ´Buße´ in einem öffentlichen Gottesdienst haben? Dies ist das Thema der hier anzuzeigenden Züricher Habilitationsschrift, die von dem 1980 geborenen studierten Geschichtler, Philosophen und Theologen Baschera verfasst wurde.
Im ersten Satz der Einleitung (S. 1) zitiert Baschera aus einer 1702 erschienenen Schrift eines Züricher Pfarrers und Professors: “´Wir glauben, dass das Bekenntnis der Sünden so notwendig ist, dass es keinen Gottesdienst gibt, bei dem es nicht öffentlich vor Gott geschieht.´“ Dies blieb nicht unumstritten, bis in unsere Tage hinein. Das zu Grunde liegende Problem ist laut dem Verfasser ein anthropologisches und das Verständnis der Liturgie und des Gottesdienstes.
Im ersten Kapitel (S. 11-29) wird das auf Schleiermacher zurückgehende „anthropologisch-expressive Verständnis des kirchlichen Gottesdienstes“ kritisch dargestellt. Im zweiten Kapitel (S. 30-75) wirbt Baschera „Für ein pneumatisch-formatives Gottesdienstverständnis“ (so die Kapitelüberschrift), das den „Gottesdienst in jedem seiner Teile als Ort der wirksamen Selbstvergegenwärtigung Gottes“ (S. 74) versteht. Im kurzen dritten Kapitel (S. 76-93) skizziert Baschera, vor allem im Rückgriff auf Calvin und Bullinger (aber auch Barth), das evangelisch-reformierte Verständnis der Heiligung. Diese sei keinesfalls perfektionistisch zu verstehen, sondern inchoativ. „Indem der Christ auf dem Weg der Heiligung fortschreitet, bleibt er (als Sünder) immer auch an dessen Anfang.“ (S. 93 umgest.) Dies bedingt dann – so ebd. - „ein bestimmtes Verständnis von ´Buße´“. Buße, so Baschera auf S. 139, ist als Teil des Heiligungsprozesses Um-Orientierung und Re-Orientierung (vgl. S. 141). Im vierten Kapitel (S. 94-140: „Der metanoetische Kern des Gottesdienstes: Die Umkehrliturgie“) untersucht Baschera die Bußliturgie aus der Genfer/Straßburger Gottesdienstordnung von 1542. Im fünften Kapitel (S. 141-196) analysiert Baschera liturgisches Material. Dies ist ihm deshalb wichtig, weil Formen und Inhalte – wie bei Gedichten und Gemälden (S. 195) - untrennbar miteinander verbunden sind.
Insgesamt ist diese Arbeit ein veritabler Beitrag zur Theorie und Praxis des evangelischen (Buß-)Gottesdienstes, zwar ohne Bezug auf den lutherischen Zweig der Reformation (Luther wird in nur drei Anmerkungen nurmehr sehr sehr beiläufig erwähnt), deshalb jedoch nicht weniger diskutabel. Baschera sei besonders den Liturgikern, genauso aber auch allen denjenigen, die vor Ort für Gottesdienste verantwortlich sind oder über den christlichen Gottesdienst nachdenken wollen, sehr empfohlen. Die vielen ausformulierten Gebete können außerdem mit wenig Aufwand adaptiert werden. (gm)
Luca Baschera Hinkehr zu Gott "Buße" im evangelisch-reformierten Gottesdienst
Evangelisch-Katholische Studien zu Gottesdienst und Predigt - Band 004 1. Auflage 2017 280 Seiten kartoniert ISBN 978-3-7887-3159-5 39,00 €
Vandenhoeck & Ruprecht
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