Die Lebenswelt des Europäischen Spätmittelalters
Man kennt Romane und Filme über das oft sogenannte „finstere Mittelalter, vielleicht auch Arno Borsts „Lebensformen im Mittelalter“, aber nur wenige gesicherte Tatsachen. Also: wenig geschichtliche Fakten; das Meiste beruht wohl eher auf vagen Kenntnissen und dürfte mehr Produkt unserer modernen Fantasie sein. Wie präzise, wie farbig, wie individuell – und deshalb wie unheimlich wertvoll ist demgegenüber das, was Arnold Esch, der emeritierte Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom aus 33000 Bittschriften an Päpste ausgewählt, analysiert und nun in einem zweiten Band darstellt.
Nach „Wahre Geschichten aus dem Mittelalter“ (2010) ist es der zweite Band dieser Art. Konkret bezieht sich Esch auf rund 2400 ausgewählte Schreiben, die von 1439 bis 1484 an die Apostolische Pönitentiarie (= das höchste Buß- und Gnadenamt der Kirche) gerichtet wurden. Sie wurden „von Portugal bis Finnland und von Schottland bis Sizilien“ (S. 10) aus abgesandt, und zwar von gewöhnlichen, kleinen Leuten. Ihr Schicksal war in gar keiner Weise überlieferungswürdig und wäre niemals zu Quellenmaterial geworden. „Im Verhör unter Anklage oder in der Zeugenvernehmung [da] müssen sie reden, dürfen sie reden.“ (S. 11 umgestellt)
Die Quellen sind gegliedert in die Bereiche der einzelne Mensch, das Zusammenleben, Obrigkeit, Klosterleben, Universität und Magie, Häresie und Hexenwahn. Und sie sind – wie bei einem gediegenen Historiker nicht anders zu erwarten – alle detailliert belegt. Also ein wunderbares Buch für alle mit etwas Sinn für menschliche Schicksale und fürs Historische; ein Lesevergnügen höchster Güte. (gm)
Arnold Esch Die Lebenswelt des Europäischen Spätmittelalters Kleine Schicksale selbst erzählt in Schreiben an den Papst
2014, gebunden 544 S., mit Leseband 29,95 €
C.H. Beck
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