Der 1976 geborene Verfasser des Weltbestsellers "Eine kurze Geschichte der Menschheit" (zuerst 2011 in Israel, 2013 auf deutsch) will in seinem neuen Buch nicht zurück blicken, sondern – wie der Untertitel ankündet – die "Geschichte von morgen" schreiben, also in die Zukunft blicken.
Hararis Einstieg kann man nachvollziehen, auch wenn sich erste Einwände und Fragezeichen melden. Legt er beispielsweise nicht zu sehr die Lebenswelt des entwickelten und wohlhabenden Nordens unserer Erde zu Grunde? Er sieht nämlich im Großen und Ganzen die menschlichen Hauptbedrohungen (Hunger, Krankheiten und Kriege) als gelöst an. Und so "werden die nächsten Ziele der Menschheit wahrscheinlich Unsterblichkeit, Glück und Göttlichkeit sein." (S. 34) Unwillkürlich wird man an Thea Dorns Roman "Die Unglückseligen" (2016) erinnert, und an die Sehnsüchte nach alltäglichem Glück (oder ans ganz große Glück), und an so manche Glücksversprechen. Aber: der Mensch als Gott? Harari denkt, das entlastet ihn etwas, bei der menschlichen Göttlichkeit "weniger an den allmächtigen himmlischen Vater der Bibel" (S. 69), als vielmehr an die Schaffenskraft griechischer Götter oder an die hinduistische Gottheit Devas. Religionswissenschaftlich-theologisch gesprochen bleibt es leider bei solchen verkürzten, nebulösen Chiffren.
Nach dieser theologisch-anthropologischen Hauptfrage nun weitere Blicke ins Buch. Wer – dem Untertitel folgend ein futurologisches Werk erwartet, der / die wird bitter enttäuscht. Denn Hararis neues Buch ist in weiten Teilen eine Zusammenfassung beziehungsweise Wiederholung der "Geschichte der Menschheit" und eine Beschreibung der verworrenen Gegenwart. In Teil I (S. 99-209 "Homo sapiens erobert die Welt") fragt Harari auch explizit nach dem Menschsein. Später entpuppt er sich als beinharter Naturalist. Die Gelehrten des 20.Jahrhunderts hätten nämlich herausgefunden, dass im Menschen wie in anderen Lebewesen auch "weder eine Seele noch ein freier Wille, noch ein ´Ich´ - sondern nur Gene, Hormone und Nervenzellen" zu finden seien (S. 380, grammatiklalisch engepasst). In Teil II (S. 211-375 sondiert der Verfasser die Welt, die sich der Mensch erschuf, insbesondere auch die Fragen nach dem Sinn. Erst am Ende, im dritten Teil, denkt Harari ab S. 377 strenger auf Zukunft hin und reflektiert mögliche Zukünfte.
An biblisch-theologische Fehlern fielen mir beispielhaft auf: S. 109 assoziiert Eva mit Schlange und sieht Adam und Eva als "Wildbeuter", S. 129 sieht den Menschen einseitig nur als Beherrscher, nicht aber als Bewahrer der Natur; Gen 2,15 wird also total unterschlagen. Daran schließt sich eine sehr abenteuerliche Interpretation der Sintflutgeschichte an. Ergänzend dann: warum wird S. 269 nicht Aristoteles als Entdecker des menschlichen Strebens nach Glück genannt?
Insgesamt vermittelt Harari trotz des Eingeständnisses offener Fragen den Eindruck, in gleicher Weise über kleinste Kleinigkeiten Bescheid zu wissen (von den Higgs-Teilchen liest man jedoch nicht), wie auch die größten vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Menschheitsfragen über kurz oder lang einer Lösung zuführen zu können beziehungsweise zu wissen, in welche Richtung die Antworten gehen. Kritische LeserInnen und Fachleute werden da ihre berechtigten Zweifel haben.
Insgesamt geht mein Daumen also eher nach unten; was aber Harari auf jeden Fall leistet ist dies: er legt brisante Themen auf den Tisch. Wer an gegenwärtigen oder zukünftigen Entwicklungen interessiert ist, der / die sollte es unbedingt lesen. (gm)
Harari, Yuval Noah Homo Deus Eine Geschichte von Morgen
4. Auflage 2017 576 S. mit 57 teils farbigen Abbildungen. Gebunden ISBN 978-3-406-70401-7 24,95 €
C.H. Beck
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