Kinder, H.: Der Weg allen Fleisches

Der Verfasser dieser Erzählung ist kein großer, bekannter Schriftsteller, aber studierter Germanist, Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller und Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Kinder erhielt auch einige Literaturpreise. Er lebt in Köln und am Bodensee – und außer den Träumen (Kap. II trägt die Überschrift „Im Traum bin ich ein Fußgänger“), spielt sich alles am, um und in der Nähe des Bodensees ab. Sinnigerweise las ich Kinders Erzählung in Gaienhofen, einem Wohnort Hesses, am Ufer des Untersees!

Vor Kinders erstem Satz steht folgender Satz Martin Walsers: „Es gibt keinen schrecklicheren Unterschied als den zwischen einem Kranken und einem Gesunden.“ Und am Ende eine Äußerung Roberto Benignis. „Sterben mag ich nicht. Das ist das Letzte, was ich tun werde.“ Um Gesundheit, Krankheit und den drohenden Tod geht es in Kinders Erzählung.

Eingangs erlebt man den Protagonisten als einen 59jährigen, fitten Radler, der über die bekannten Hügel unterwegs ist: „hinab in die Täler und hinauf in die Berge, stehend im Hüftschwung, um das Tempo zu halten, an den Schienbeinen traten die Radfahrermuskeln heraus.“ (S.9). Eine Seite später jedoch, „verließ ihn die Kraft. Er wollte weiter, aber es ging nicht.“ Es ist der Anfang vom Ende. „Man diagnostizierte ein Lungenemphysem“, schließlich Morbus Wegener, eine „Autoimmunkrankheit, die zuerst die kleinen Blutgefäße zerstört und dann vielleicht, Organ nach Organ, den ganzen Menschen.“ (S.19f) Passend dazu die Überschrift des ersten Kapitels: „Du stirbst in Stücken“. Es folgen, fast im Stil einer Krankenakte geschrieben, der Bericht von einer Reha-Maßnahme, seinem Arbeitsende, eine Operation nach der anderen, schlussendlich die Amputation des Vorfußes. „Nun lag er da, immobil und immer fetter werdend...“ (S.42) Konsequenterweise lautet die Überschrift über das dritte und letzte Kapitel im Irrealis: „Als ob ich noch wandern könnte“.


Mit drei kurzen Schlussbemerkungen möchte ich schließen:
- Durch die Erzählung hindurch taucht immer wieder eine nicht näher bezeichnete „sie“ auf. Bis zum Ende bleibt offen, wer diese ominöse „sie“ ist.

- Ein einziges Mal musste ich herzhaft lachen. „Vor der Rauchbox fragte ein Rollstuhlfahrer eine Rollstuhlfahrerin, was Kannibalen sagten, wenn ein Rollstuhlfahrer käme: Essen auf Rädern.“ (S. 24)

- Als Leserin und Leser klappt man dieses auch äußerlich in tiefem Schwarz gehaltene Buch betroffen und nachdenklich zu, vielleicht auch müde von so viel Krankheit und Jammer. (gm)


Hermann Kinder
Der Weg allen Fleisches

Erzählung (mit farbigen Zeichnungen des Autors)
2014
38 S., gebunden
18,-- €.

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