Verfasser dieses opulenten enzyklopädischen Werkes ist der 1966 geborene Jörg Lauster, Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie in Marburg und Gastprofessor in Rom und Venedig. In elf Kapiteln spannt er von dem „Geheimnis des Anfangs“ (nämlich der Person Jesu, dem Jesus der Evangelien und dem Beginn des Christentums nach Ostern) einen weiten Bogen bis zum „Vervielfältigte[n] Christentum im 19. und 20. Jahrhundert“.
Allein schon die Bewältigung dieser 2000 Jahre umfassenden Stoffmasse verdient ein erstes Lob. Ein zweites Lob betrifft die Wahl des Titels. Lauster versteht Kultur mit Oswald Spengler als ´geheime Sprache des Weltgefühls´; und diese repräsentiere „ein Weltgefühl, das mehr ist als das Sich-Einrichten in dieser Welt“ (S.13). Insofern „ist das Christentum die Sprache eines Weltgefühls, das den Überschuss als das Aufleuchten göttlicher Gegenwart in der Welt versteht, es ist daher die Sprache einer kontinuierlichen Verzauberung der Welt.“ (ebd., umgest.)
Dieser Blickwinkel birgt jedoch – auch wenn den mittelalterlichen Teufeln und Hexen immerhin 6,5 Seiten gewidmet werden; aber reicht dies? – die Gefahr einer theologia gloriae, wie sie in der „Wucht des Barock“ (S. 335-399) zum Ausdruck kam. Jesus aber wandte sich doch gerade den Armen und Ausgestoßenen zu. Gott wurde Mensch, nicht in einem Königspalast, sondern unter den Hirten. Die Sphäre der Kultur(-schaffenden) ist eine andere!
Neben dieser prinzipiellen Kritik vermisst man die Bedeutung des Alten Testamentes und die wichtige theologische Rolle, die Paulus für das Entstehen des Christentums spielte. Ohne Paulus würde es das Christentum ja gar nicht beziehungsweise nur in ganz anderer Gestalt geben. Oder es wäre nur eine historische, kurzlebige Erscheinung gewesen. Sachlich mag man auch das Ende von Lausters voluminösem Werk kritisieren. Denn nach dem langen 19.Jahrhundert folgt nur „Die Misere des kurzen 20. Jahrhunderts“ (S. 599-613). Auch wenn die Kürze methodisch gut begründet ist und Lauster auf die Notwendigkeit „einer eigenständigen religiösen Gegenwartsanalyse“ (S. 599) verweist, klafft für die jüngste Vergangenheit und unsere Gegenwart eine schmerzliche Lücke. Oder sollte es so sein, dass die Entzauberung der Welt und ihre nur rationalistische Betrachtung seit der Aufklärung jeglicher Verzauberung endgültig einen Riegel vorschob? In Anlehnung an ein Motto des Religionssoziologen Robert Bellah beendet ein dreiseitiger Ausblick („Nothing is ever lost“) Lausters Werk. Das Christentum sei mehr als seine vergangenen Konkretionen oder seine gegenwärtigen Erscheinungsformen „- und es ist noch viel mehr als das.“ So die allerletzten, etwas kryptischen Worte auf S. 617.
Abschließend sei Folgendes fest gehalten: Es mischen sich Lob und Kritik, mal mehr das Eine, mal mehr das Andere; Lausters Werk ist es wert, gelesen und diskutiert zu werden. Ihm gebührt ein Ehrenplatz in der hauseigenen Bibliothek. Und es ist ein gutes, sinnvolles Geschenk für alle am Christentum Interessierten. (gm)
Lauster, Jörg Die Verzauberung der Welt Eine Kulturgeschichte des Christentums
2. Auflage 2015. 734 S.: mit 89 Abbildungen davon 25 in Farbe. In Leinen ISBN 978-3-406-66664-3 34,00 €
C. H. Beck
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