Lieber Martin,
Reformationstag und Reformationsjubiläum sind ein guter
Anlass, über uns beide nachzudenken. In letzter Zeit bist du scharf kritisiert
worden, zuweilen zu Recht. Jedoch hast Du niemals behauptet, ein Heiliger zu
sein. An die Unfehlbarkeit hast du nie geglaubt, auch nicht an die deinige.
Geglaubt ganz fest hast Du aber, dass Gott dich liebt, dich annimmt, so wie du
bist, - allein aus Gnade, allein aus Glauben. Sola Gratia, Sola Fide. Daher hast
Du gegen den Ablass gekämpft, in dem man sich angeblich für Geld von Sünden
loskaufen und sich einen gütigen Gott kaufen kann.
Du hast dazu 95 Thesen aufgestellt, verteilt und zur
Diskussion gestellt, - damit hast Du das Abendland verändert. Ich vermute mal,
Du hast sie am 31.10.1517 nicht an die Schlosskirche von Wittenberg genagelt, -
erzähl mir mal, wie’s wirklich war „am Ende aller Tage“. So wurde auf jeden Fall
dieser 31.10. zum Reformationstag.
Ich hätte den 18. April 1521 als Reformationstag
gewählt. Du erinnerst Dich? Da hast Du Deine Schriften vor dem Kaiser, den
Fürsten und Bischöfen Deine Schriften verteidigt: „Widerrufen kann und will ich
nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen sein Gewissen zu
tun.“ Das war sehr mutig von einem kleinen Bettelmönch, der weltlichen und
geistlichen Obrigkeit so zu widersprechen und über sie alle das eigene Gewissen
zu stellen! Respekt, Martin!
Natürlich bin ich Dir dankbar für die Übersetzung der
Bibel in eine wunderbare deutsche Sprache, damit sie jeder lesen kann. Keinen
Pfennig wolltest Du dafür haben. Daher können wir heute von Erfahrungen mit Gott
lesen und die alten Gebete der Christenheit mitbeten. An der Bibel müssen sich
Konzile und Päpste messen lassen. Sola Scriptura.
Dankbar bin ich Dir für Dein Eintreten für Toleranz,
Geschlechtergerechtigkeit, Frauen in kirchlichen Ämtern und dass Männern keine
Zacke aus der Krone fallen wird, wenn sie mal – wie auch Du getan hast – Windeln
waschen.
Dankbar bin ich Dir auch, dass Du die Tyrannen zittern
lässt. Denn als Christ soll man zwar Ungerechtigkeiten hinnehmen. Aber: Es kann
sein, dass ein „Fürst“ verrückt wird. Dann kann es unvermeidbar sein, Schuld auf
sich zu laden und diesen zu stoppen.
So habe ich Dir und Deinen Mitdenkern und Mitstreitern
viel zu verdanken: Jan Hus, Heinrich Bullinger, Johannes Calvin, Philipp
Melanchthon, Ulrich Zwingli und natürlich auch Katharina Zell, Argula von
Grumbach und „Herr Käthe“, - Deine liebe Frau. Deren Bier hätte ich zu gerne mal
probiert. … ich weiß, - wenn wir uns wiedersehen.
Summa summarum: Besonders bin ich Dir dankbar, dass Du
mich lehrst, auf mein Gewissen zu hören, und dass Du mir zeigst, dass mich
nichts von Gottes Liebe trennen kann. Das ist Wegweisung und Trost
zugleich!
In Dankbarkeit
Otto