Der Papst hat die deutschen Bischöfe in einem Brief dazu aufgefordert, künftig eine veränderte Übersetzung der Kelchworte Jesu zu verwenden.
In dem Ende April 2012 veröffentlichten Schreiben macht sich Benedikt XVI. dafür stark, bei den Einsetzungsworten den Ausdruck "pro multis" wörtlich mit "für viele" wiederzugeben. In der bisherigen Ausgabe der deutschen Fassung des Messbuchs werden die lateinischen Worte mit "für alle" übersetzt. Der Papst betonte, dass es sich dabei nicht um eine theologische Änderung, sondern um eine philologische Anpassung handele. Die Kirche sei weiterhin der Überzeugung, dass Jesus für alle Menschen gestorben sei.
Ein theologisches Signal, das in entsprechender Liturgiereform verankert wurde. Und jetzt wird wieder eine Tradition aufgegriffen, die vor dem Zweiten Vatikanum üblich war? Es wäre nicht das erste Mal, dass Papst Benedikt XVI. schwer Errungenes rückgängig macht. Handelt es sich um ein vorauseilendes Zugeständnis an die konservative Piusbruderschaft? Davon wird gemunkelt. Freilich, den neuerlichen Vorstoß des Papstes könnte man auch als textphilologische Spitzfindigkeit abtun. Doch nicht nur Katholiken werden derzeit hellhörig.
Der Münsteraner Theologe Klaus Müller sieht in dem Schreiben ein kirchenpolitisches Zugeständnis an traditionalistische Kreise . Der Professor für Fundamentaltheologie meint, dass die Änderung in der deutschen Kirche Probleme hervorrufen werde.
Dr. Hans-Joachim Eckstein, Professor für Neues Testament an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen, schreibt dazu:
Was Protestanten wirklich stören sollte Die Teilnahme am Mahl des Herrn bedeutet verbindliche Gemeinschaft und bewusste Übereignung an den Herrn, der aus Liebe sein eigenes Leben dahin gab – "für uns"! Wenn nach der Überlieferung des Paulus und des Lukas beim Brotwort statt von "für viele" von "für euch" gesprochen wird, kommt darin für die Mahlgemeinschaft die persönliche Zuwendung und der unmittelbare Zuspruch und Anspruch zum Ausdruck: "Das ist mein Leib für euch!" (1 Kor 11,24; Lk 22,19). Der Papst wahrt in der verbindenden liturgischen Formulierung "für euch und für viele" die verschiedenen Facetten des biblischen Zeugnisses also zutreffend und umfassend.
Was einen nicht-römisch-katholischen Gläubigen am Schreiben des Papstes – trotz aller Übereinstimmung in den exegetischen Einzelaussagen – enttäuscht, sind nicht etwa Neuerungen oder Veränderungen des Bestehenden. Vielmehr ist es die römisch-katholische Verweigerung, das Mahl des Herrn mit all den "vielen" anderen Glaubenden gemeinsam zu feiern. Wenn die Apostel und Evangelisten von den "vielen" sprachen, für die Christus gestorben ist, dann erinnerten sie jene Teile der Urgemeinde an die Worte Jesu und der Schrift, die als Judenchristen in Jerusalem die Gläubigen "aus den Heiden" so nicht als "gerecht" und zugehörig akzeptierten. Waren diese Judenchristen doch der Überzeugung, dass es kein Heil außerhalb ihrer eigenen – als der einzigen – Kirche geben könne, weshalb Paulus selbst dem Apostel Petrus einmal öffentlich um der Wahrheit des Evangeliums willen widersprechen musste.
Sollte die Rückbesinnung auf den Wortlaut der biblischen Texte dahin führen, dass bei jeder Feier der Messe die ökumenische Weite der "vielen" statt der "wenigen" ins Gedächtnis käme, könnte man in der Rückkehr von "für alle" zu "für viele" theologisch gar noch einen Fortschritt erkennen. Die Gewissheit, dass Christus noch heute den einen Kelch an die vielen mit den Worten reicht: "für euch und für viele zur Vergebung der Sünden" verbindet Christen bereits seit Jahrhunderten!
Der vollständige Artikel von Professor Hans-Joachim Eckstein steht bei pro.de: "Viele" oder "alle"? Eine evangelische Antwort auf den Papst
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