Gegen die Vereinnahmung Dietrich Bonhoeffers

Theologen protestieren gegen Vereinnahmung Dietrich Bonhoeffers durch christliche Nationalisten in den USA

In jüngster Zeit haben deutsche und amerikanische Theologen in einem offenen Brief gegen die missbräuchliche Vereinnahmung des NS-Widerstandskämpfers und Theologen Dietrich Bonhoeffer durch christliche Nationalisten in den USA protestiert. Unter den Unterzeichnern befinden sich renommierte Persönlichkeiten wie die ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber und Heinrich Bedford-Strohm. Sie warnen davor, dass Bonhoeffers Leben und Werk in der polarisierten politischen Atmosphäre der USA zunehmend dazu benutzt werden, politische Gewalt zu rechtfertigen.

Missbrauch von Bonhoeffers Theologie durch christliche Nationalisten
Thorsten Dietz, Professor für Systematische Theologie, beleuchtet in seinem Artikel „Billige Gnade: Streit um Bonhoeffer“ die Hintergründe dieses Missbrauchs. Er kritisiert besonders die Rolle des amerikanischen Autors und Radiomoderators Eric Metaxas. Metaxas hat eine Bestseller-Biographie über Bonhoeffer verfasst, in der er ihn als konservativen Theologen darstellt, der sich von der liberalen Theologie abgewandt habe. Metaxas' Darstellung sei jedoch „in vieler Hinsicht historisch irreführend und vor allem theologisch eine tendenziöse Verzeichnung Bonhoeffers“, so Dietz.

Metaxas und andere christliche Nationalisten nutzen Bonhoeffers Konzept der „billigen Gnade“, um liberale Positionen zu diskreditieren, insbesondere in der Migrations- und Klimapolitik. So wird etwa eine humanitäre Grenzpolitik als Ausdruck „billiger Gnade“ diffamiert. Das von Trump-Unterstützern entwickelte „Project 2025“ beruft sich ebenfalls auf Bonhoeffer, um eine illiberale Neuordnung des Staates zu propagieren. Dietz weist darauf hin, dass diese Interpretation Bonhoeffers Werk ins Gegenteil verkehrt.

Bonhoeffers tatsächliche Theologie und Entwicklung
Dietz fragt weiter, warum Bonhoeffer für rechte Christen so attraktiv ist, und betont, dass Bonhoeffer zwar in seinen frühen Jahren nationalistische und konservative Ansichten vertrat, sich aber im Laufe seines Lebens deutlich davon distanzierte. „Bonhoeffer war kein linksliberaler Theologe im heutigen Sinne“, erklärt Dietz, „aber in seiner eigenen Entwicklung ist es Bonhoeffer gelungen, aus der Mitte theologischer Christuserkenntnis heraus zu einem zeitgenössischen Glaubensverständnis zu finden“.
Bonhoeffer habe erkannt, dass „Gottes Gnade immer in die Nachfolge Jesu Christi führt und damit auch in den Einsatz für Gerechtigkeit in dieser Welt“. Er betonte die Notwendigkeit, die Ereignisse der Welt „von unten, aus der Perspektive der Ausgeschalteten, Beargwöhnten, Schlechtbehandelten, Machtlosen, Unterdrückten und Verhöhnten“ zu betrachten. Diese Haltung stehe im klaren Widerspruch zu den Ideologien der christlichen Nationalisten, die Bonhoeffer für ihre Zwecke instrumentalisieren.

Die Gefahr der Vereinnahmung und der notwendige Protest
Dietz unterstreicht, dass die Vereinnahmung Bonhoeffers durch christliche Nationalisten nicht nur eine Verzerrung seiner Theologie darstellt, sondern auch gefährlich ist, weil sie politische Gewalt rechtfertigt. „Wo diese Akzente ins Gegenteil verkehrt werden, wie beim christlichen Nationalismus in den USA, ist der Protest sowohl der Bonhoeffer-Familie als auch der internationalen Bonhoeffer-Forschung mehr als angemessen“, betont er.
Die Theologen warnen zudem vor einer „historisch falschen Gleichsetzung zwischen der Gegenwart und dem totalitären NS-Regime“, die von christlichen Nationalisten behauptet wird, um ihre Gewaltbereitschaft zu legitimieren. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl in den USA sei diese Entwicklung besonders besorgniserregend, da sie eine „noch nie da gewesene Welle der Gewalt“ nach sich ziehen könnte.

Bonhoeffers Vermächtnis für die heutige Theologie
Bonhoeffers Leben und Werk sind für viele Theologen ein Beispiel für eine Lerngeschichte des Nachkriegsprotestantismus. Seine theologische Entwicklung zeigt, wie ein tiefer christlicher Glaube zu einer Haltung führen kann, die sich nicht in einem Kulturkampf gegen die Moderne erschöpft, sondern zu Gottvertrauen und Nächstenliebe im Diesseits anleitet. Dietz schließt mit der Feststellung, dass Bonhoeffer „zum Vorbild geworden ist für eine Lerngeschichte des Nachkriegsprotestantismus insgesamt“.

Fazit
Der Protest der Theologen gegen die Vereinnahmung Bonhoeffers durch christliche Nationalisten ist ein wichtiges Signal, das Bonhoeffers tatsächliche theologische Positionen in Erinnerung ruft. Es unterstreicht die Notwendigkeit, sein Erbe vor falschen Interpretationen zu schützen und die Bedeutung seiner Botschaft für Frieden, Gerechtigkeit und die Solidarität mit den Unterdrückten hervorzuheben.


Quellen und weitere Informationen:
So war Bonhoeffer nicht!
https://www.zeit.de/2024/44/dietrich-bonhoeffer-theologe-donald-trump-unterstuetzer-gewalt

Offener Brief der Theologen: EKD - Theologen protestieren gegen Vereinnahmung Bonhoeffers
https://www.ekd.de/theologen-protestieren-gegen-vereinnahmung-bonhoeffers-in-den-86100.htm

Artikel von Thorsten Dietz: Billige Gnade: Streit um Bonhoeffer
https://www.reflab.ch/billige-gnade-streit-um-bonhoeffer/

Hintergrundinformationen: Sonntagsblatt - Protest gegen Vereinnahmung Bonhoeffers
https://www.sonntagsblatt.de/artikel/kirche/bedford-strohm-und-weitere-theologen-protestieren-gegen-vereinnahmung-bonhoeffers

Dietrich Bonhoeffer Werke. 16 Bände und Register, hg. von Eberhard Bethge u.a., München/Gütersloh 1986-1999.

Metaxas, Eric: Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet. Holzgerlingen 82021.


Dietrich Bonhoeffer Bundesarchiv, Bild 146-1987-074-16 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

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