Martin Luthers Judenfeindschaft – Offener Appell zum Lutherjahr 2017 An alle Gemeinden und Mitchristen, die das Reformations - Jubiläum 2017 begehen wollen
Liebe Schwestern und Brüder in den Gemeinden, Synoden, Gremien und anderen Organen der protestantischen Kirchen, die wie wir im Jahre 2017 in Deutschland das Jubiläum der Reformation begehen wollen,
im Themenjahr „Reformation und Toleranz“ haben Sie, der Ratsvorsitzende Dr. h.c. Nikolaus Schneider, ebenso wie die „Reformationsbotschafterin“ der EKD, Frau Prof. Dr. Käßmann, bei verschiedenen Gelegenheiten sich kritisch zu Luthers Judenfeindschaft geäußert.
Wir begrüßen dies ausdrücklich; wir halten es aber für überfällig und notwendig, dass sich auch die EKD- Gremien anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 deutlich von der Judenfeindschaft Martin Luthers distanzieren.
Die kritischen Worte zu Luther, die es in EKD-Studien und landeskirchlichen Erklärungen bereits gibt, sind in der Öffentlichkeit, auch in der kirchlichen, weitgehend nicht bekannt! Deshalb regen wir an, dass schon im Vorfeld dieses Jubiläums der Rat der EKD beziehungsweise die Synode der EKD ein klares und prägnantes Wort an die Öffentlichkeit richtet.
Der EKD-Ausschuss „Schrift und Verkündigung“ hat sich 2012 mit diesem Thema befasst. Er hat den Rat und Ratsvorsitzenden der EKD gebeten, sich im Jahr „Reformation und Toleranz“ bei geeigneter Gelegenheit ausdrücklich und öffentlich von Luthers Äußerungen gegen die Juden zu distanzieren und gleichzeitig von späteren antisemitischen Äußerungen, die sich auf Luther berufen.
Der 9. November 2013, an dem sich die Reichspogromnacht zum 75. Mal jährte, wäre ein gewichtiger Zeitpunkt („kairos") gewesen. Nun hoffen wir, dass dieses Wort noch bis 2017 kommt – auch das jetzige Themenjahr „Reformation und Politik“ 2014 käme dafür als geeigneter Kontext in Frage.
Luthers Judenfeindschaft, die sich in den letzten 20 Jahren seines Lebens zunehmend als Hass geäußert hat, diente zum einen den Nationalsozialisten außerhalb und innerhalb der protestantischen Kirche zur Rechtfertigung der Judenverfolgung. Zum anderen hat sie – bis auf wenige Ausnahmen – auch die Solidarität der evangelischen Kirchen und Christen mit den Juden im Dritten Reich gelähmt und verhindert. Das hat dazu beigetragen, dass die Spirale der Gewalt gegen die Juden im „Dritten Reich“ immer weiter gehen konnte.
Eine Kommission des Lutherischen Weltbundes hat bereits im Lutherjahr 1983 bei einem Treffen mit Vertretern der jüdischen Weltgemeinschaft in Stockholm ausgesprochen:
„Wir Lutheraner leiten unseren Namen von Martin Luther ab, dessen Verständnis vom Christentum auch weitgehend unsere Lehrgrundlage bildet. Die wüsten antijüdischen Schriften des Reformators können wir jedoch weder billigen noch entschuldigen[...] Wir stellen mit tiefem Bedauern fest, dass Luthers Namen zur Zeit des Nationalsozialismus zur Rechtfertigung des Antisemitismus herhalten musste und dass seine Schriften sich für solchen Missbrauch eignen [...]“ (zit. nach H. Kremers (Hg), Die Juden und Martin Luther – Martin Luther und die Juden, Neukirchen 1985, XV).
Ebenso hat die „Lutherische Europäische Kommission für Kirche und Israel“ (LEKKJ) am 8. Mai 1989 in Driebergen (Niederlande) in ihrer von allen lutherischen Kirchen Deutschlands approbierten Erklärung formuliert.
„Um ein neues Verhältnis zu den Juden zu gewinnen, müssen wir als Kirche lernen, Buße zu tun ... Wir dringen darauf, dass in den lutherischen Kirchen ... die antijüdischen Ausfälle des späten Luther mit ihren verheerenden Folgen aufgearbeitet werden“ (Erklärung II, 1 und IV,2).
Wir bitten die Synode und den Rat der EKD, ein unüberhörbares und öffentlichkeitswirksames Wort zu dieser Frage zu beschließen. Zugleich rufen wir die protestantischen Gemeinden in Deutschland auf, sich mit diesem bitteren Erbe der Reformationszeit auseinander zu setzen und entsprechende Erklärungen zu verfassen oder zu unterzeichnen.
Denn für uns gehört ein deutliches Wort der Distanzierung von Martin Luthers Judenfeindschaft unabdingbar zum Reformationsjubiläum. Ohne einen solchen Akt können wir uns im Dietrich-Bonhoeffer-Verein e.V. nicht vorstellen, das Jubiläum recht mitzufeiern.
Besonders eindringlich bitten wir Sie, dieses „unüberhörbare und öffentlichkeitswirksame Wort“ auch über Superintendenturen und Dekanate an alle Gemeinden, (Pastoren/Pastorinnen, Kirchenvorstände, Gottesdienstbesucher) flächendeckend weiterzuleiten und entschieden darauf zu dringen, dass es nicht nur wie viele andere Worte „von oben“ geduldig, aber im Grunde unbetroffen zur Kenntnis genommen wird, sondern auch wirklich gehört und umgesetzt wird.
Dietrich Bonhoeffer verstand sich als Lutheraner. In großer Wertschätzung für Martin Luther hat er sich nicht gescheut, dessen Theologie weiterzuentwickeln und für die Fragestellungen des modernen Menschen zu öffnen. Auf dem Hintergrund des ethischen Versagens während des NS-Regimes bedürfen vor allem die Grundwerte der Humanität und der Menschenrechte theologisch einer stärkeren Berücksichtigung. Bonhoeffers Denkansatz wird deutlich durch ein Zitat aus seiner „Ethik“: Christus „ist die Mitte und die Kraft der Bibel, der Kirche, der Theologie, aber auch der Humanität, der Vernunft, des Rechtes, der Bildung“ (DBW 6, 344).
An dem Weg und Wirken Martin Luthers bleiben verpflichtend der Auftrag zu einer Erneuerung der Kirche im Glauben an den lebendigen Herrn Jesus Christus, der uns in der Kraft des Heiligen Geistes jeden Tag neu zur Umkehr ruft und auf das kommende Reich Gottes weist.
Mit freundlichen Grüßen Dietrich-Bonhoeffer-Verein
Karl Martin Vorstandsvorsitzender
Barbara Wirsen-Steetskamp Stellvertretende Vorsitzende
Detlef Bald Stellvertretender Vorsitzender
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