Friedrich Schorlemmer (1944–2024): Ein Leben für Frieden, Gerechtigkeit und die Kirche
Von einem Propheten des 20. Jahrhunderts lernen
Friedrich Schorlemmer, geboren am 16. Mai 1944 in Wittenberge (Prignitz), war einer der bedeutendsten evangelischen Theologen und Bürgerrechtler der DDR. Als Sohn eines Pfarrers in Werben (Altmark) aufgewachsen, prägten ihn früh die christlichen Werte von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Sein Lebensweg ist ein beeindruckendes Zeugnis für den Mut und die Standhaftigkeit eines Menschen, der sich unermüdlich für Freiheit und Menschenrechte einsetzte.
Bildung und Berufung
Trotz der Widrigkeiten seiner Zeit—ihm wurde aufgrund seiner Herkunft der Besuch der Erweiterten Oberschule verwehrt—ließ sich Schorlemmer nicht entmutigen. Er erwarb das Abitur an einer Volkshochschule und studierte von 1962 bis 1967 Theologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seine berufliche Laufbahn begann er als Studentenpfarrer in Merseburg (1971–1978), bevor er als Dozent am Evangelischen Predigerseminar in der Lutherstadt Wittenberg wirkte und Prediger an der Schlosskirche wurde (1978–1992). Von 1992 bis 2007 war er Studienleiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt.
Engagement für Frieden und Menschenrechte
Bereits 1968 beteiligte sich Schorlemmer an Aktionen gegen die neue Verfassung der DDR und protestierte gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. In den folgenden Jahrzehnten wurde er zu einer zentralen Figur der Friedens-, Menschenrechts- und Umweltbewegung in der DDR. Sein Eintreten für diese Werte brachte ihn oft in Konflikt mit den staatlichen Behörden.
Ein symbolträchtiges Ereignis war die von ihm initiierte Umschmiedung eines Schwertes zu einer Pflugschar auf dem Kirchentag 1983 in Wittenberg. Trotz staatlicher Verbote wurde diese Aktion zu einem internationalen Hoffnungszeichen und steht bis heute für den biblischen Aufruf, Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden (vgl. Micha 4,3). Sie symbolisierte den tiefen Wunsch nach Frieden und die Überwindung von Gewalt.
Mitgestalter der Friedlichen Revolution
Schorlemmer war aktiv in den Synoden der evangelischen Kirche und Berater der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der DDR (1988/89). Am 4. November 1989 sprach er auf der großen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz und wurde zu einer Stimme der Hoffnung für viele Menschen.
Er gehörte zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs "Für unser Land" vom 26. November 1989, der zu einem demokratischen und reformierten Sozialismus in der DDR aufrief. Als Mitbegründer der Partei Demokratischer Aufbruch setzte er sich politisch für Veränderung ein, trat jedoch aus, als sich die Partei ideologisch neu ausrichtete. Er fand seine politische Heimat in der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) und war bis 1994 Fraktionsvorsitzender der SPD im Wittenberger Stadtparlament.
Stimme in Kirche und Gesellschaft
Nach der Wiedervereinigung blieb Schorlemmer ein kritischer Begleiter der gesellschaftlichen Entwicklungen. Er engagierte sich gegen den Militäreinsatz in Afghanistan und den Irakkrieg und sprach sich stets für friedliche Lösungen aus. Als Mitherausgeber der "Blätter für deutsche und internationale Politik" und Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland trug er wesentlich zum intellektuellen Diskurs bei.
Sein Eintreten für eine offene Gesellschaft zeigte sich auch in seiner Unterzeichnung der Erfurter Erklärung 1997, die zu einem breiten Bündnis linker Parteien und Organisationen aufrief. Schorlemmer plädierte für einen politischen Diskurs ohne Ausgrenzung und setzte sich für die Ausfüllung des Grundgesetzartikels 14 Absatz 2 ein, wonach Eigentum dem Gemeinwohl dienen muss.
Letzte Jahre und Vermächtnis
In seinen letzten Lebensjahren litt Friedrich Schorlemmer an einer Lewy-Körper-Demenz und zog sich ab 2022 aus der Öffentlichkeit zurück. Er verstarb am 9. September 2024 im Alter von 80 Jahren in einem Pflegeheim in Berlin-Spandau.
Sein Tod löste tiefe Trauer aus. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte ihn als "mutigen und aufrechten Streiter für Freiheit und Demokratie". Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, bezeichnete ihn als "streitbaren Mahner für Frieden und Gerechtigkeit".
Ein Vorbild für kommende Generationen
Friedrich Schorlemmer hinterlässt ein beeindruckendes Vermächtnis. Sein Leben steht exemplarisch für die Verbindung von Theologie und praktischem Engagement. Er zeigte, dass christlicher Glaube immer auch politisch ist, wenn es um die Verteidigung der Menschenwürde und die Gestaltung einer gerechten Gesellschaft geht.
Für Theologiestudierende, Kircheninteressierte und alle, die sich in der Kirche engagieren, bleibt er ein inspirierendes Vorbild. Sein Mut, seine Standhaftigkeit und sein unermüdliches Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit mahnen uns, nicht zu schweigen, wenn Unrecht geschieht.
Abschließende Gedanken
In Zeiten globaler Herausforderungen erinnert uns Friedrich Schorlemmers Leben daran, dass Veränderung möglich ist, wenn Menschen sich von ihrem Glauben leiten lassen und gemeinsam für eine bessere Welt eintreten. Mögen wir von seinem Beispiel lernen und den Geist der Hoffnung und des Friedens weitertragen.
Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. (2. Timotheus 1,7)
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