Lüthi Kurt

"Den Kirchenschlaf stören, wo es nur geht!"

Kurt Lüthi wurde am 31. Oktober 1923 in Rohrbach, Kt. Bern, Schweiz, geboren. Am 11. Juni 2010 verstarb er im Alter von 86 Jahren.

Er studierte in Bern und Basel Evangelische Theologie. Stark beeinflußt haben ihn Karl Barth, Martin Buber und Dietrich Bonhoeffer. Er war 15 Jahre lang Pfarrer in der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Bern. Seine Dissertation erarbeitete er bei Oskar Cullmann, Basel (Thema: "Judas Iskarioth in der Geschichte der Auslegung von der Reformation bis in die Gegenwart"). Habilitiert hat er sich mit der Arbeit "Gott und das Böse" (auch als Buch: Zürich 1961).
Von 1959-1964 war er - neben dem Pfarramt - Privatdozent an der Universität Bern. 1964 wurde er Ordinarius für Systematische Theologie (Helvetisches Bekenntnis) an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Seit 1991 ist Kurt Lüthi emeritiert.

Bereits im Studium interessierte sich Lüthi neben der Theologie für Philosophie, Kunst und Germanistik. Schon früh bestand auch ein Interesse an Fragen der politischen Ethik und am christlich-jüdischen Dialog. Seit seiner Berufung nach Wien gehörte Lüthi in Österreich zu den prägenden Persönlichkeiten im ökumenischen Dialog, im Gespräch zwischen Theologie und Kunst, im christlich-marxistischen sowie im christlich-jüdischen Dialog. Lüthi, der seit 1972 mit der Wiener Künstlerin Linda Christanell verheiratet war, engagierte sich auch im Gespräch zwischen Theologie und Psychoanalyse und unterstützte die Anliegen der Feministischen Theologie.

Kurt Lüthi, der am Reformationstag geboren wurde, sah in der „Reformation“ seine Lebensaufgabe: Reformation von Kirche und Gesellschaft. Gemeinsam mit Wilhelm Dantine, Ferdinand Klostermann und Otto Mauer gründete er den „Ökumenischen Arbeitskreis“. Ökumene war ein Herzstück seines Lebens. Er sprach von der „Fröhlichen Konkurrenz der Konfessionen“.

Über die Verweigerung des Dialogs mit Andersgläubigen sagte er 1980: „Wahrheitsfindung ist nicht mehr möglich. Es entstehen Haltungen der bloßen Macht- und Interessenvertretung. Intellektuell entsteht eine Atmosphäre des Provinziellen, Eindimensionalen, ja der Verdummung.“

In einer Predigt zum katholischen Konzil sagte Kurt Lüthi 1965: „Johannes XXIII. wurde gefragt, was er eigentlich mit dem Konzil wolle. Er habe darauf ein Fenster geöffnet und gesagt: ,Dies, frische Luft in der Kirche.‘ Ein gutes Programm für eine Kirche, in der oft Sauerstoffmangel herrscht! Frische Luft hineinlassen! Den Kirchenschlaf stören, wo es nur geht! Ökumene ist weithin Erneuerung der eigenen Kirche.“

„Theologie als Dialog“ – das war sein Anliegen: Dialog mit Schriftstellern und Künstlern, Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen, Dialog mit den Human- und Sozialwissenschaften. Theologie ist eine dialogische Wissenschaft. Jeder Absolutheitsanspruch gehört auf den Zentralfriedhof. Lüthis These gibt zu denken: „Verkrüppelte und ideologische Sprache bewirkt verkrüppelte, vorurteilsverhaftete Menschen.“ Kurt Lüthi schätzte den Ausspruch des Schriftstellers Günter Eich: „Von Gott kann man nicht sprechen, wenn man nicht weiß, was Sprache ist. Tut man es dennoch, so zerstört man seinen Namen und erniedrigt ihn zur Propagandaformel.“

Sein Einsatz für soziale Gerechtigkeit, für die Befreiung aus entfremdenden Rollengefängnissen, für Feminismus, Sozialismus und Humanismus hat sich in vielen Büchern niedergeschlagen. Sein letztes umfangreiches Werk (2001: „Christliche Sexualethik“) ist ein Plädoyer für eine erotische Kultur der Sexualität. Es behandelt die Befreiung aus verklemmten sexuellen Moralvorstellungen. Lüthi war ein kreativer Wissenschaftler, ein bescheidener Professor, ein wacher Zeitgenosse. Sein kirchliches und gesellschaftliches Engagement lässt sich mit zwei Begriffen beschreiben: Dialog und Befreiung. Er war ein europäischer Befreiungstheologe. Ich bin ihm dankbar für viele Anregungen und die intensive Zusammenarbeit seit 1966. Wir bräuchten heute viele Kurt Lüthis – einen hatten wir. Und dafür bin ich, gemeinsam mit vielen anderen, sehr dankbar.

Universität Wien
http://www.dieuniversitaet-online.at/beitraege/news/in-memoriam-kurt-luethi-1923-2010/10.html

DDr. Alfred Kirchmayr in: "Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2010
http://diepresse.com/home/panorama/religion/575613/index.do


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