Letzter Gang des Herings
Wenn der Fisch zu Grabe getragen wird

Letzter Gang des Herings
In der langen Fastenzeit vor Ostern galt in vielen katholischen Regionen einst: kein Fleisch, keine Milchprodukte, kein Vergnügen – und stattdessen täglich gesalzener Hering. In Irland war dieser Fisch jahrhundertelang der kulinarische Dauerbrenner der Enthaltsamkeit. Verständlich, dass man dem silbrig-glänzenden Fastenfreund irgendwann überdrüssig wurde.
So entstand ein Brauch, der in seiner Skurrilität kaum zu überbieten ist: das Heringsbegräbnis. Besonders rund um Cork entwickelten Metzger im 19. Jahrhundert eine symbolträchtige, wenn auch nicht ganz ernst gemeinte Liturgie. Am Ende der Fastenzeit, zu Ostern, wurde ein Hering feierlich durch das Dorf getragen – aufgespießt auf einer Holzstange, begleitet von Spottgesängen, Schellen und einem Zug lachender Menschen.
Der arme Fisch wurde beschimpft, ausgelacht, manchmal sogar zu Grabe getragen oder – noch würdevoller – ins Wasser zurückgeworfen. Es war ein rituelles Ende des Fastens, ein Abschied vom mageren Speiseplan und eine humorvolle Hommage an die Auferstehung des kulinarischen Lebens.
Auch wenn der Brauch heute nur noch selten gepflegt wird, zeigt er doch eindrücklich, wie erfinderisch Volksfrömmigkeit sein kann – und wie tief Essen und Glaube miteinander verwoben sind. Der Hering jedenfalls hat es sich verdient, wenigstens am Ende ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen – wenn auch mit einem Augenzwinkern und einer Prise Salz.
Ein skurriler Osterbrauch, der beweist: Die Iren wissen, wie man Fasten nicht nur beendet, sondern auch gebührend verabschiedet.
theology.de, März 2025