Beschneidung
Beschneidung Christi
Im Deutschen Ethikrat zeichnet sich eine Mehrheit für die Zulassung von Beschneidungen aus religiösen Gründen ab. Die Experten sind mehrheitlich für einen Eingriff mit Betäubung. Beschneidungen sollten erlaubt sein, wenn sie unter Betäubung und durch medizinisch geschultes Personal erfolgen. Das Bundesjustizministerium will im Herbst eine Gesetzesinitiative vorlegen, die religiöse Beschneidungen unter Auflagen erlaubt.
Anlass ist ein Urteil des Kölner Landgerichts Ende Juni 2012. Es hatte die Beschneidung von Knaben als strafbare Körperverletzung gewertet, selbst wenn die Eltern einwilligen. Das Bundesjustizministerium will im Auftrag des Deutschen Bundestages im Herbst eine Gesetzesinitiative vorlegen, die religiöse Beschneidungen unter bestimmten Auflagen erlaubt. Der stellvertretende Vorsitzende des Ethikrats, der Theologieprofessor Peter Dabrock (Erlangen), vertrat die Ansicht, dass in einer immer säkularer werdenden Gesellschaft die Riten der jüdischen und muslimischen Tradition verstörend wirken könnten. In den beiden Glaubensgemeinschaften wiederum löse ein Verbot der Beschneidung Empörung und Verletztheit aus. Zudem bedeute es einen schwerwiegenden Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht. Man dürfe jüdischen und muslimischen Eltern nicht unterstellen, sie hätten das Kindeswohl nicht im Blick. Dabrock sprach sich für „nachgewiesen wirksame schmerztherapeutische Maßnahmen“ und zertifiziertes Personal bei einer Beschneidung aus.
Rechtswissenschaftler: Jüdisches Sonderrecht wäre ein „Sündenfall“
Der Rechtswissenschaftler Prof. Reinhard Merkel (Hamburg) nannte eine Beschneidung ohne Betäubung rechtlich wie ethisch inakzeptabel. Sie dürfe daher nicht erlaubt werden. Zudem würden die oft katastrophalen Folgen von Beschneidungen unterschätzt. Studien zufolge gebe es allein in den USA etwa 117 Todesfälle pro Jahr als Folge dieser Praxis. Deutschland habe aufgrund der Massenmorde an den Juden jedoch eine besondere Pflicht gegenüber jüdischen Belangen So entstehe ein rechtspolitischer Notstand, der sich nicht befriedigend lösen lasse. Ein sich abzeichnendes jüdisch-muslimisches Sonderrecht, das eine Beschneidung zulasse, sei für den Rechtsstaat ein Sündenfall.
Anderer Ansicht ist der Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln, Wolfram Höfling. Die Beschneidung von Säuglingen sei durch das elterliche Erziehungsrecht gedeckt. Der Staat dürfe sich in die Erziehung nur einmischen, wenn das Kindeswohl gefährdet sei. Dies sei bei einer Beschneidung jedoch nicht der Fall.
Juden und Muslime: Beschneidung ist für uns unverzichtbar
Ein Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, der Medizinprofessor Leo Latasch (Frankfurt am Main), bezeichnete die Beschneidung als unverzichtbar, sei sie doch ein Ritus zur Aufnahme in die jüdische Religionsgemeinschaft. Zugleich zeigte sich Latasch offen für lokale Betäubungen. Diese seien in Deutschland bei Beschneidungen bereits heute üblich.
Begründung:
Laut der Bibel (Gen 17,10–14) wurde die Beschneidung unter den Israeliten von ihrem Stammvater Abraham eingeführt, der meist auf etwa 1800–1600 v. Chr. datiert wird. Neuere Forschungen nehmen an, dass erst unter Mose, also etwa 1400–1200 v. Chr. beziehungsweise erst während des Babylonischen Exils um etwa 600 v. Chr. die Juden diese Praktik übernahmen und ritualisierten. Dadurch wurde die Beschneidung von Neugeborenen (Brit Mila), die am achten Tag nach der Geburt stattzufinden hat, zu einem der rituellen Gebote der Mitzwot. Der Eingriff wird von jüdischen Beschneidern (Mohelim) durchgeführt, die dafür ausgebildet werden. Unterschiedliche Auffassungen gibt es darüber, ob die Brit Mila ohne oder mit Betäubung stattfinden soll.
Von muslimischer Seite nannte der Mediziner und Philosoph Ilhan Ilkilic (Mainz) die Beschneidung eine unverzichtbare Grundpflicht für seine Religion. Nach seinen Worten könnte ein Verbot Muslime nicht davon abhalten, die Beschneidung an Säuglingen durchzuführen. Vielmehr drohe dann ein „Beschneidungstourismus“ ins Ausland oder die heimliche Beschneidung in Hinterzimmern.
Begründung:
Der Prophet Mohammed kam laut einer Überlieferung ohne oder mit einer sehr kurzen Vorhaut zur Welt. Die Beschneidung wird heute bei Muslimen als ein Zeichen der Religionszugehörigkeit im Kindesalter – bis zum Alter von 13 Jahren – durchgeführt. Oft wird aus diesem Anlass ein großes Familienfest gefeiert.
In manchen Ländern (z. B. der Türkei) werden Jungen im späteren Kindesalter beschnitten. Die Beschneidung wird im Koran nicht explizit erwähnt und lässt sich lediglich aus der Anweisung, der Religion Abrahams zu folgen, ableiten:
„Sprich: ‚Was Gott sagt, ist die Wahrheit. Folgt dem Weg Abrahams, des Hanifen! Er glaubte innig an Gott, Dem er keine anderen Gottheiten zugesellte.“ (Koran-Sure 3:95)
Die Beschneidung ist in der Sunna beschrieben. Sie wird heute von vielen als integraler Bestandteil des Islam angesehen; sie sei für die rituelle Reinheit (Tahāra) notwendig. Die Gültigkeit ritueller Handlungen, wie etwa des fünfmaligen täglichen Gebets (Salat), hängt von der rituellen Reinheit des Betenden ab.
Aussage Mohammeds in einem Hadith:
„Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Der Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Zur Fitra (natürlichen Veranlagung) gehören fünf Dinge: Die Beschneidung (der Männer/Jungen), das Abrasieren der Schamhaare, das Schneiden der (Finger- und Fuß-) Nägel, das Auszupfen (bzw. Rasieren) der Achselhaare und das Kurzschneiden des Schnurrbarts.“ (Sahih Muslim: Buch 2, Nummer 495, 496)
Gleichwohl gilt die Beschneidung des männlichen Geschlechtsteils (= Entfernung der Vorhaut) vielen Muslims als Pflicht und wird in der Regel bei männlichen muslimischen Kindern schon frühzeitig – oft als Baby – von den Eltern in Auftrag gegeben. Bei später konvertierten Muslimen kann die Beschneidung durch eine Operation mit örtlicher Betäubung erfolgen. Es gilt als eines der Zeichen des Prophetentums, dass die Propheten bereits beschnitten – also ohne Vorhaut – geboren werden. Beschnitten zu sein kann interpretiert werden als 'dem Vorbild der Propheten zu entsprechen'.
Früherer EKD-Ratsvorsitzender: Es geht um Religionsfreiheit
Nach Einschätzung des ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden, Altbischof Wolfgang Huber (Berlin), darf der Deutsche Ethikrat nicht den Anschein erwecken, dass es sich bei der Beschneidung nur um eine medizinethische Frage handele. Vielmehr habe die Diskussion gezeigt, dass dabei die Frage nach der Religionsfreiheit zentral sei. In der Frage der Beschneidung zeige sich, ob die Gesellschaft religiöse Pluralität wirklich ernstnehme.
Begründung:
Laut dem apokryphen und pseudepigraphischen Thomasevangelium soll Jesus von Nazareth folgendes gesagt haben:
„Seine Jünger sprachen zu ihm: ‚Nützt die Beschneidung oder nicht?‘ Er sprach zu ihnen: ‚Wenn sie nützte, würde ihr Vater sie beschnitten aus ihrer Mutter zeugen. Aber die wahre Beschneidung im Geiste hat vollen Nutzen gehabt.‘“ (Das Evangelium nach Thomas 53)
Im frühen Christentum sprach sich Paulus von Tarsus gegen eine Pflicht zur Beschneidung für die neubekehrten Heidenchristen aus. Paulus war selbst ein beschnittener Judenchrist. Für ihn entscheidend war nicht die körperliche Beschneidung, sondern die – bereits im Judentum zunehmend betonte – „Beschneidung des Herzens“, wie sie schon das 5. Buch Mose kennt: „Ihr sollt die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein.“ (Dtn 10,16). Wer glaube, so Paulus, allein durch körperliche Beschneidung gottgefällig zu sein und heilig zu werden, sei auf einem Irrweg: „Die Beschneidung ist wohl nütze, wenn du das Gesetz hältst; hältst du aber das Gesetz nicht, so bist du aus einem Beschnittenen schon ein Unbeschnittener geworden.“ (Röm 2,25). Entscheidend sei der demütige Glaube: „Denn in Christus Jesus kommt es gerade nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist.“ (Gal 5,6)
Quelle: idea.de (August 2012), Bibel, Koran.
Beschneidung Christi
Szene von einem Flügelretabel mit Darstellungen aus dem Leben Mariens und der Kindheit Jesu, Brabant, um 1480 (aus Mengen, Nord-Brabant)