Nach Himmelfahrt auf Erden: Die "heilige Vorhaut"
Beschneidung Jesu
Friedrich Herlin
Bekannt ist: Christus ist am dritten Tag auferstanden und in den Himmel aufgefahren. Das wird alle Jahre an Christi Himmelfahrt gefeiert. Ist damit nichts mehr von Jesus auf Erden? Eigentlich nicht ... aber doch nicht so ganz. Denn ein Körper bereits zu Lebzeiten einzelne Teile verlieren. Dass Jesus nach acht Tagen seiner Geburt beschnitten wurde, beschreibt der Evangelist Lukas (Lukasevangelium 2,21). Auch das wird wird gefeiert: Das Fest der Beschneidung des Herrn; gefeiert gleich nach Silvester am 1. Januar.
Erstmals ausdrücklich erwähnt wird die Vorhaut Jesu in einem "Arabischen Kindheitsevangelium", einer apokryphen syrischen Schrift aus dem sechsten Jahrhundert: Eine alte Frau habe nach der Beschneidung Jesu Vorhaut in eben jenem Nardengefäß verwahrt, aus dem Maria Magdalena später das Öl nehmen sollte, um den Heiland zu salben, heißt es dort.
An Weihnachten anno 800 soll Karl der Große die Reliquie Papst Leo III. geschenkt haben, als dieser ihn in Rom zum Kaiser krönte. Ein Engel, so Karl, habe ihm die Vorhaut überbracht, als er am Heiligen Grab betete.
Daher verwundert es nicht, dass im Mittelalter die "heilige Vorhaut", "Sanctum Praeputium", als Reliquie auftauchte. Oder korrekter: die heiligen Vorhäute! Sie waren begehrt und gleich mehrere Orte pochten darauf, im Besitz dieser echten Reliquie zu sein. Ein Ort setzte sich dabei durch. Der Legende nach wurde der deutsche Landsknecht, der die Vorhaut Jesu stahl, später 45 Kilometer nördlich von Rom in Calcata festgenommen wurde. In seinem Kerker habe der Landsknecht das juwelenbesetzte Reliquiar samt Vorhaut versteckt, wo es erst 1557 wiederentdeckt worden sei. Calcata war seither das letzte aktive Zentrum der Vorhaut-Verehrung in Europa.
Bis in das 20. Jahrhundert wurde die angebliche Vorhaut Christi im italienischen Calcata bei Prozessionen dem Volk zur Verehrung gezeigt. Jährlich am 1. Januar wurde in dem malerischen Bergdorf das "Sanctum Praeputium" bei einer Prozession gezeigt. Doch kurz vor der Prozession des Jahres 1984 hatte der Dorfpfarrer von Calcata eine schockierende Nachricht für seine Gemeinde: Die Prozession müsse ausfallen, die Reliquie sei verschwunden, spurlos. Nur ein schnöder Diebstahl? Ging es nur um das kostbare Reliquiar? Der britische Fernsehjournalist Miles Kington versuchte im Jahr 1997 vergeblich, die heilige Vorhaut zu finden. Die Sache ist ein bis heute ungelöster Kriminalfall geblieben ...
Aber vielleicht gibt es noch eine andere Erklärung: Der vatikanische Gelehrte Leo Allatius (ca. 1586–1669) vertrat in seiner Schrift "De Praeputio Domini Nostri Jesu Christi Diatriba" die Ansicht, dass es sich bei den 1610 neu entdeckten Saturnringen um die Vorhaut des Herrn handeln müsse, die mit Jesus in den Himmel aufgefahren sei und sich nun in dieser Gestalt dem irdischen Betrachter zeige.