Menschen auf der Flucht, - die Medien bringen jeden Tag
neue und schlimmere Nachrichten. Man hat den Eindruck, dass man jeden Tag neu
überrascht und wieder neu erschreckt wird. Doch Flucht und Vertreibung sind
nichts Neues. Schon die Bibel ist voller Menschen auf der Flucht:
Hagar flieht nach Schur (Genesis 16,7), Lot
nach Zoar (19,20), Jakob nach Haran (27,43). Mose nach Midian (Exodus
2,15), David flieht nach Rama (1. Sam 19,18) und Jesus flieht schon als Kind nach Ägypten
(Matthäus 2,13) und sucht dort Zuflucht.
Und es gibt Berichte, wie im Jahre 615 der Prophet
Mohammed und die ersten Muslime aus Mekka fliehen mussten, weil sie von den
Mächtigen der Stadt verfolgt und mit dem Tod bedroht wurden. Daher beschloss
Mohammed, einige von ihnen nach Abessinien, dem heutigen Äthiopien, zu schicken.
Dieses Land wurde damals von einem christlichen Herrscher regiert, dem Negus.
Mohammed spürte, dass die Christen dort in der Fremde ihm näher standen als die
Heiden von Mekka, seine eigenen Stammesgenossen.
Als die ersten muslimischen Flüchtlinge eintrafen,
wurden sie vom König empfangen. Er versprach ihnen sogar Schutz vor ihren
Feinden, obwohl sie Fremde waren und obwohl sie keine Christen. Daher fragte man
die Muslime: „Was haltet ihr von Jesus?“ Die Antwort war: „Was Jesus betrifft,
so können wir nur sagen, was uns der Prophet gelehrt hat: Jesus ist der Diener
und Gesandte Gottes, der Geist und das Wort Gottes, die Er der Jungfrau Maria
anvertraut hat.“ So besagt es auch der Koran.
Als der Negus diese Worte vernahm, hob er einen kleinen
Zweig vom Boden auf und sagte: „Ich schwöre, der Unterschied zwischen dem, was
wir über Jesus, den Sohn der Maria, glauben, und dem, was du da gesagt hast, ist
nicht größer als dieser Zweig hier lang ist.“
Als dann die Mekkaner deren Flucht entdeckten und die
Zwangsrückkehr der Flüchtlinge forderten, ließ der Negus sie abblitzen. Sogar
die wertvollen Gastgeschenke gab er den Mekkanern wieder zurück. Respekt,- die
erste Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen in einem christlichen Land! Die
Muslime konnten dort nach ihrem Glauben leben. Die einige Jahre später von
Mohammed erstellte erste muslimische Gemeindeordnung für die „Umma“ in Medina
schreibt daher auch einen respektvollen Umgang der verschiedenen Religionen vor.
Muslime, Juden und Christen lebten so freiheitlich zusammen! – Leider ist das
heute von vielen vergessen oder verdrängt.
Für den christlichen Herrscher Negus war klar, dass die
Christen und Muslime mehr verband als sie trennte. Vielleicht erinnerte er sich
auch an das Gebot Gottes: „Wenn bei Dir ein Fremder
in Eurem Land lebt, sollt Ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei
Euch aufhält, soll Euch wie ein Einheimischer gelten, und Du sollst ihn lieben
wie Dich selbst; denn Ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der
Herr, Euer Gott" (Levitikus 19,
33-34).
Die Haltung und das Handeln des Negus im 7. Jahrhundert
ist uns heute Vorbild. Als Christ gewährt er Menschen in Not Zuflucht, als
Christ steht er den Notleidenden und Fremden besonders nah, als Christ stellt er
sich schützend vor Flüchtlinge. Demütig vor Gott und mutig vor den Menschen.
Demonstrativ und beherzt. Nicht gleichgültig und nicht leise. Er stellt sich vor
die Flüchtlinge, auch wenn sie nicht seine direkten Glaubensbrüder und
-schwestern sind. Finanzielle Nachteile nimmt er in Kauf. Denn Nächsten- und
Fremdenliebe gelten für uns alle,- für Juden, für Christen und auch für Muslime
... für alle Geschöpfe dieser Welt! So wird unser gelebter Glaube zum Ausweis
unserer Glaubwürdigkeit, - der Hass in Liebe, Fremde zu Freunden und Schwerter
zu Pflugscharen verwandeln soll.