Wenn wir eine Reise unternehmen und im Urlaub, wünschen
wir Neues zu sehen und zu erleben. Doch wundern wir uns, wenn es Probleme mit
dem Hotel, mit dem Service, dem Essen, den Getränken etc. gibt. Wir freuen uns,
wenn alles ordentlich ist und zuverlässig gemacht wird. Gerade wir Deutschen
wünschen uns Zuverlässigkeit und Ordnung, dass alles so ist und bleibt, wie es
ist. Aber manchmal wünschen wir uns sehr, dass es doch anders kommt: Wenn Streit
in der Familie und Verwandtschaft das Klima vergiftet hat, wenn eine schwere
Entscheidung oder Operation ansteht, wenn wir Bilder Not, Krankheit, Flucht und
Krieg sehen, wenn wir mit unseren Kräften und Möglichkeiten an unsere Grenzen
gekommen sind, - dann wünschen wir uns ein Wunder, das unser Leben oder gar die
ganze Welt ändert. Die Bibel berichtet von solchen Wundern, die Rettung vor
Hunger, als es Manna vom Himmel regnet, Jesus heilt einen Blinden und läs st
Lazarus von den Toten auferstehen. Aber gibt es auch außerhalb der Bibel
Wunder?
Was sind denn eigentlich Wunder? Ist uns eigentlich
immer klar, dass wir gerade ein Wunder erleben, oder merken wir eventuell gar
nicht, dass wir ein Wunder erlebt haben?
Neulich las ich die Geschichte meines Kollegen Robert
Strand, die mich über diese Fragen zum Nachdenken brachte:
Anna war eine aufgeweckte Fünfjährige als sie ihre
Mutter und Vater über ihren kleinen Bruder Andrew sprechen hörte. Sie erfuhr,
dass er sehr krank ist und dass ihre Eltern überhaupt kein Geld mehr besaßen.
Nur eine sehr teure Operation könnte ihren Bruder noch retten und es schien
niemanden zu geben, der ihnen das Geld leihen würde. Anna hörte, wie ihr Vater
ihrer tränenüberströmten Mutter sagte: „Nur ein Wunder kann Andrew noch
retten.“
Anna ging in ihr Zimmer und zog ein altes
Marmeladenglas aus dem Versteck im Wandschrank. Sie schüttete all das Kleingeld
auf den Boden und zählte es gewissenhaft – gleich drei Mal.
Sorgfältig steckte sie die Münzen wieder zurück in
das Glas und schlich sich zur Hintertür hinaus. Sie ging an sechs Häuserblocks
entlang bis zu Rexall’s Drug Store. Dort suchte sie den Apotheker im hinteren
Teil des Ladens. Geduldig wartete sie, bis er sie bemerkte, aber er hatte gerade
viel zu tun und unterhielt sich dabei mit einem gut angezogenen Mann. Endlich
kam sie dran. „Und was möchtest du?“, fragte der Apotheker.
„Ich brauche etwas für meinen kranken Bruder“,
antwortete Anna und fügte hinzu: „Er ist wirklich sehr, sehr krank ... ich
möchte daher ein Wunder kaufen.“
„Wie bitte?“, fragte der Apotheker. „Ein Wunder
kaufen?“
„Er heißt Andrew und in seinem Kopf wächst etwas
Böses. Und mein Vater sagt, nur ein Wunder kann ihn noch retten. Was kostet also
ein Wunder?“
„Wir verkaufen hier keine Wunder, kleines Mädchen. Es
tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen“, antwortete der Apotheker etwas
resigniert.
Der Mann, der sich mit dem Apotheker unterhalten
hatte, hatte das Gespräch aufmerksam verfolgt und mischte sich nun ein: „Was für
ein Wunder braucht denn dein Bruder?“
„Ich weiß nicht“, antwortete Anna und ihre Augen
füllten sich mit Tränen. „Ich weiß nur, dass er wirklich sehr krank ist und Mama
sagt, er brauche eine Operation in seinem Kopf. Aber mein Papa kann sie nicht
bezahlen, also möchte ich mein Geld dafür nehmen.“
„Wie viel hast du denn?“, fragte der Mann. „Einen
Dollar und elf Cents“, antwortete Anna kaum hörbar. „Das ist alles Geld, was ich
habe!“
„Nun, was für ein Zufall“, lächelte der Mann. „Ein
Dollar und elf Cents – das ist genau der Preis für ein Wunder für kleine
Brüder.“ Er nahm sie bei der Hand und sagte: „Zeige mir, wo du wohnst. Ich
möchte deinen Bruder sehen und deine Eltern sprechen. Wir wollen mal sehen, ob
ich das Wunder habe, das du brauchst.“
Dieser gut angezogene Mann war der Bruder des
Apothekers, Dr. Carlton Armstrong, ein Chirurg aus Chicago, spezialisiert auf
Neurochirurgie. Die Operation führte er kostenlos durch und es dauerte nicht
lange, da war Andrew wieder zu Hause und es ging ihm gut.
Die Eltern waren überglücklich und die Mutter stellte
fest: „Diese Operation war ein wirkliches Wunder.“ Und Anna lächelte: „… und
dafür brauchte ich nur ein Dollar und elf Cents“ … und ich ergänze: den Glauben eines kleinen Kindes, dass Wunder
jederzeit möglich sind, wenn man nur daran glaubt und es versucht. Und die
Hoffnung, die nie aufgibt, und die Liebe zu einem Menschen.
Daher möchte ich uns ermutigen, unsere Augen und Herzen
zu öffnen für die kleinen und großen Wunder, die uns umgeben.
Denn für den einen ist es nur eine Routine-Operation,
für den anderen ein Wunder. Für den einen ist es nur ein freundliches Wort, für
den anderen die Hilfe, die neue Kraft und Lebenswillen schenkt.
Wir sind zwar alle keine Neurochirurgen, aber wir können
mit dem, was wir haben und können, für andere zum Wunder werden! Dazu braucht
es:
Einen Glauben, dass Gott es gut mit uns meint und dass
es daher für alles eine gute Lösung gibt.
Eine Hoffnung, einen Weg zu finden, auch wenn das Leben
verschlungene Wege geht.
Eine Liebe, die Zuspruch spendet, um neue Kraft zu
spenden, und auch Widerspruch bietet, um vor falschen Entscheidungen zu
schützen.
Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei braucht es für
ein Wunder. Glaube, Hoffnung und Liebe sind auch die Namen der drei Säulen in
der Kirche von Pitigliano, die wir besucht haben. Glaube, Liebe und Hoffnung
empfiehlt auch der Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth (1
Kor 13). Glaube, Hoffnung und Liebe wünsche ich auch euch von Herzen, damit ihr
euch noch oft freuen und wundern könnt und anderen zum Wunder werdet. Wundern
wir uns … und werden wir anderen zu Wundern.
Andacht ZWERGE-Reise
2016/Maremma